©1972 Walter Lange | 19720723 | Berlin | Chrlottenburg | Bahnhof Zoologischer Garten
Heute vor fünfzig Jahren, am Sonntag, dem 23. Juli 1972 gegen 14 Uhr. Da stehen wir nun, Ralle und ich, mit unseren blöden Seesäcken, die wir in den nächsten Wochen durch halb Südeuropa schleppen werden. In unseren - verdeckt getragenen - Brustbeuteln haben wir neben unseren Reisepässen, den Impfbescheinigungen gegen Pocken - ja, wir hatten vor nach Nordafrika überzusetzen - und den Reiseschecks, die Interrail-Tickets der Deutschen Reichsbahn.
Praktisch, aber auch absurd. Das Interrail-Ticket war damals vier Wochen gültig und bedeutete freie Fahrt auf allen Bahnlinien in Europa. Nur für Strecken im ausstellenden Land mußte der halbe Fahrpreis gezahlt werden. Da im Falle der Deutschen Reichsbahn die DDR das ausstellende Land war, galt das auch für uns als Westberliner.
Ab Helmstedt hatten wir freie Fahrt. Erstmal nach Paris…
Das Interrail-Ticket, eine Seite aus dem obligatorischen Auslandskursbuch der Deutschen Bundesbahn und das Ermäßigungsticket der Deutschen Reichsbahn für die Fahrt durch die DDR.
©1972 Werner Lange | 19720723 | Sonntag | Berlin | Bahnhof Zoo | Meine Eltern… | auf dem Weg nach Helmstedt…
©1972 Werner Lange | 19720724-19720726 | Montag bis Mittwoch | Paris
©1972 Werner Lange | 19720727-19720730 | Donnerstag bis Sonntag | Madrid | Reisebekanntschaften, die Stadt, die Parks, das Museo del Prado…
Die Fahrt nach Algeciras hatte es in sich. Das begann schon, als der Zug kurz vor Abfahrt in Madrid-Atocha bereitgestellt wurde. Während wir uns an einem Einstieg plazierten, okkupierten fast alle anderen Reisenden die Abteile durch die Fenster. Als wir dann auch im Zug waren, war er schon komplett überfüllt. Daher verbrachten wir die Fahrt und die Nacht auf der Plattform vor den Toiletten. Verschärfend kam noch hinzu, das sich ein US-amerikanisches Paar - nein, nicht die Beiden, die auf den Madrid-Fotos zu sehen sind - uns angeschlossen hatte. Der Typ hatte schwere Vorurteile gegenüber den anderen Reisenden und große Angst um die “Ehre” seiner Frau. Mann, Mann, Mann.
©1972 Werner Lange | 19720731 | Montag | Algeciras | Mitreisende, eine Fähre nach Nordafrika, ein Fährkartenschalter, in der Ferne Gibraltar, im Hafen, müde Reisende…, die den Traum von Nordafrika aufgegeben haben und sich am Abend wieder in den Zug nach Madrid setzen, um…
Ich hatte den Eindruck, daß viele Frauen alleine mit Interrail unterwegs waren. Und sie legten auch großen Wert darauf, dies beizubehalten. Dagegen waren Typen eher zu zweit unterwegs. Sie schlossen sich auch mal, für eine Weile, zu einer größeren Reisegruppe zusammen. Manchmal waren die Jungs aber auch ganz praktisch: Aus irgendeinem Grund dachten wir und auch andere Interrailer, daß der Zug, der uns von Madrid nach Barcelona brachte, direkt nach Nizza weiterfuhr. Der Zug fuhr auch aus dem Bahnhof - eine Viertelstunde bis ins nächste Depot. Das war dann aber ein paar Kilometer vom Bahnhof weg. So trugen wir unsere blöden Seesäcke und Teile des Gepäcks mitreisender Damen zurück zum Bahnhof. Dagegen hatten die Mädels nichts einzuwenden.
…nach einem vetrödelten Tag in Madrid mit einem Nachtzug nach Barcelona zu fahren.
©1972 Werner Lange | 19720801-19720802 | Dienstag und Mittwoch| Madrid | Barcelona | Im Bahnhof, eine Reisebekanntschaft, vor dem Bahnhof, Barcelona im Regen.
©1972 Werner Lange | 19720803 |Donnerstag | Nizza | In den Straßen und Parks von Nizza, an der Côte d’Azur, der Bahnhof von Nizza. In den nächsten Tagen werden wir zu viert unterwegs sein.
Am 4. August 1972 erreichten wir vormittags Venedig. Da wir jetzt fünf Nächte nacheinander in Zügen verbracht hatten, beschlossen wir, ein paar Tage Pause in Ca’ballarin einzulegen. Ralle kannte den Ort bei Venedig von Familienurlauben. Da gab es einen breiten Strand und, da Ca’ballarin damals von deutschen Touristen überlaufen war, ein Freiluftkino mit Italo-Western im Doppelprogramm (deutsche Synchronfassung) und deutsche Küche. Mann, Mann, Mann. War aber trotzdem ganz nett. Blöde war nur, daß wir am Strand in der prallen Sonne einschliefen und uns Sonnenbrand in den Kniekehlen einfingen. Von der Episode gibt es keine Fotos, nur Gejammer.
Weiter gehts am Sonntag:
©1972 Werner Lange | 19720806 | Sonntag | Venedig | …letztes Foto: Stazione di Venezia Santa Lucia.
Nachdem wir den ganzen Sonntag kreuz und quer durch Venedig gelaufen waren, freuten wir uns auf eine geruhsame Nacht im Zug nach Rom, der Venezia Santa Lucia um 22:50 Uhr verließ. Wir erreichten die “erstaunlichste Stadt des Universums”, latürnich einigermaßen ausgeschlafen, am Montagmorgen um 7:15 Uhr. Wie unsere gallischen Helden zuvor, besuchten wir unter anderem das Colloseum, das wir in erbarmungswürdigem Zustand und von Touristen überlaufen vorfanden.
©1972 Werner Lange | 19720807 | Montag | Rom |
Am späten Nachmittag fuhren wir in zweieinhalb Stunden nach Neapel. Dort übernachteten wir in einer Jugendherberge, um am nächsten Tag…
©1972 Werner Lange | 19720807 | Montag | Neapel | eine römische Wasserleitung, der Golf von Neapel, Neapel.
…nach einer gerade halbstündigen Bahnfahrt und einem kleinen Fußmarsch das antike Pompeii zu erreichen. Es war toll, diesen Ort mit allen Sinnen zu erleben.
©1972 Werner Lange | 19720808 | Dienstag | Pompeii
Nach dem Rundgang durch Pompeii löste sich unsere Vierer-Reisegruppe wieder auf. Die beiden Kumpels, mit denen wir gut eine Woche unterwegs waren, fuhren weiter nach Brindisi, um nach Griechenland überzusetzen. Schade, ich weiß ihre Namen nicht mehr. Ralle und ich sind über Neapel, Rom, Bologna, den Brenner und Innsbruck in einem Rutsch ins Zillertal gefahren. Wir haben uns dort mit Freunden getroffen, die in Fügen Urlaub machten. Da wir die Adresse nicht gleich fanden, verbrachten wir eine Nacht im Wald.
©1972 Werner Lange | 19720809 | Mittwoch | auf dem Weg nach Fügen.
Am nächsten Vormittag fanden wir die Unterkunft der Freunde und wir schlossen uns ihnen für eine Urlaubswoche an.
©1972 Werner Lange | 197208010 - 19720815 | Donnerstag bis Dienstag | Fügen
Am Dienstagnachmittag - 15.8.1972 - stopften wir unsere Klamotten in Seesäcke oder Koffer, um am nächsten Tag die Heimreise anzutreten. Da standen wir dann und warteten in Fügen auf die Bahn, die uns nach Jenbach und anschließend nach München brachte. Am Abend waren wir dann wieder zuhause. In Berlin.
©1972 Michael Hundt | 197208016 | Mittwoch | Fügen
Wir waren gut 8.000 km mit der Bahn unterwegs, haben neun Nächte in Zügen verbracht, haben viel erlebt und gesehen und haben vor allem nette Menschen getroffen. War einfach toll.
Und die Reise geht immer weiter…
HERRLICH DIESE REISE IN DIE VERGANGENHEIT, VOR ALLEM, WENN MAN SELBER PLÖTZLICH IRGENDWO AUFTAUCHT. ES WAR EINE LEICHTE, SCHWERELOSE ZEIT !
VIELEN DANK LIEBER WERNER,DASS DIESES ABTAUCHEN IN DIE VERGANGENHEIT DANK DEINER FOTOGRAFIEN MÖGLICH IST !